Panzerfestungen des Kaiserreichs zwischen 1888 und 1918
Der Wettlauf mit der Artillerie führte im 19. Jahrhundert zu modernen Panzerfestungen
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte die Artillerie mehrere Entwicklungsschübe: Es begann in den 1840er-Jahren mit der Einführung der Hinterladersysteme, gefolgt von Kanonen mit gezogenem Lauf und dem Aufkommen neuer Geschütztypen wie Haubitzen. Später folgten Geschütze mit Rohren aus gezogenem Stahl (statt Gusseisen oder Bronze) und Schnellfeuerkanonen, die man auf Lafetten montierte.
Kurzum: Die Artillerie wurde immer Schlagkräftiger - die Geschütze hatten eine deutlich höhere Reichweite, konnten zunehmend größere Kaliber verschießen, ihre Treffgenauigkeit stieg und die Schussrate. Dann - in den 1880er-Jahren - kamen neue Brisanzgranaten auf. Das waren torpedo-ähnliche Geschosse, die man nicht mehr mit Schwarzpulver, sondern mit Explosivstoffen füllte. Ihre Zerstörungskraft übertraf die herkömmlicher Granaten um ein Vielfaches. Natürlich gingen diese Entwicklungen nicht spurlos am Festungsbau vorbei. So wie es mehrere Schübe bei der Entwicklung der Artillerie gab, gab es als Reaktion darauf auf zeitlich versetzte Änderungen beim Bau neuer bzw. bei der Modernisierung bestehender Festungsanlagen. Ein Beispiel dazu:
Nachdem Mitte des 19. Jahrhunderts neue Hinterladersysteme eingeführt wurden, die eine höhere Reichweite hatten, waren die Festungssysteme, die man kurz zuvor zum Schutz wichtiger Städte errichtete, quasi nutzlos. Sie lagen zu nah an der Stadt. Also begann man in Köln, einen weiteren Festungsring weit vor die Tore der Stadt zu verlegen, um auf die neue Bedrohung zu reagieren. Diese Änderungen waren weniger grundlegend, weil man beim Bau der neuen Festungen an bisherigen Bauplänen festhielt.
Mit der Einführung der Brisanzgranaten in den 1880er-Jahren änderte sich das. Ihre enorme Zerstörungskraft zwang Festungsbauingenieure bisheriges komplett zu überdenken. Zwei Beispiele auch dazu: Bis dato positionierte man die Festungsartillerie unter freiem Himmel. Sie war nun enorm gefährdet. Obendrein mauerte man die Festungen aus Ziegel- oder Bruchsteinen. Derartige Werke konnten der Wucht der neuen Sprenggranaten nicht standhalten. Es verwundert also wenig, dass in ganz Europa eine heftige Diskussion entbrannte wie auf diese neue Bedrohung zu reagieren sei. Immerhin waren Festungen seinerzeit eine wesentliche Stütze der Landesverteidigung. Man konnte nicht so einfach auf sie verzichten. Ein Beitrag zu dieser Diskussion ist in dem Buch "Metz durch Panzerfronten verteidigen" zu entnehmen. Ein Buch, welches Anfang der 1890er-Jahren von Julius Meyer verfasst wurde. Dort ist zu lesen:
Julius Meyer: Metz durch Panzerfronten verteidigen.
„Eine andere Richtung versucht mit allem Aufwand an technischen Mitteln, ein widerstandsfähiges Werk zu schaffen. Die Brisanzgeschosse haben dies unwirksam gemacht …
Was nützt die Festigkeit des Betons, des Granits und schwerer Panzerung, wenn es der Besatzung (bei feindlichem Artilleriefeuer bzw. einem Treffer mit einer Sprenggranate), unter dem Einfluss des Luftdrucks, der Gasvergiftung, der Erschütterung, Betäubung, nicht möglich ist, die Geschütze ... zu bedienen. Hier gibt's nur einen Ausweg: die Trennung der Kampfmittel und Unterstände, ihre Gliederung nach Front und Tiefe, die Benützung des Geländes als Deckungsmittel, wie es im Naturzustand sich vorfand, um sich der Sicht des Feindes zu entziehen. Nicht gesehen werden und doch selbst sehen, muss der leitende Gedanke bei Anlagen aller fortifikatorischen Bauten von jetzt ab sein."
Quelle: Julius Meyer - Metz durch Panzerfronten verteidigen - Frauenfeld - 1894 - Seite 40 u. 43
Link zur Quelle: Münchener DigitalisierungsZentrum - Digitale Bibliothek
Die Baupläne der ersten deutscher Panzerfestungen
Die Aufgabe deutscher Festungsbauingenieure war also nichts geringeres als das Entwickeln einer modernen Festung, die einerseits widerstandsfähig genug ist, um einem Beschuss mit Sprenggranaten standzuhalten und andererseits schlagkräftig genug, um mit selbigen den Artillerie- bzw. Fernkampf zu führen. Dabei galt der Schutz der Festungsartillerie - sie war inzwischen die Hauptbewaffnung moderner Festungen - besonderes Augenmerk zu schenken.
Um letzteres zu erreichen nutzte man die Erfahrungen der Marine. Bereits während des Amerikanischen Bürgerkriegs gab es erste Panzerschiffe mit drehbaren Türmen aus Stahl, um die Schiffsartillerie zu schützen. Was auf See ging, ging auch zu Land. Diese Erkenntnis setzte sich in vielen Ländern durch. In Deutschland waren es die Ingenieure und Industriellen Maximilian Schumann, Hermann Gruson und Friedrich Alfred Krupp, die Treiber der Entwicklung widerstandsfähiger Panzertürme waren (siehe: Deutsche Panzertürme).
Offen war die Frage des Bauplans neuer Festungen. Kaiser Wilhelm II. präferierte die Konzepte des belgischen Festungsbaumeisters Brialmont. Er war der Ansicht, dass künftige Festungen (er sprach in dem Zusammenhang von Panzereinheitswerken) eine dreieckige Grundform haben sollten und Artillerie sowie Infanterie in einem Werk zusammenzufassen sind. Im Gegensatz zur kaiserlichen Meinung vertraten viele deutsche Militärstrategen und Festungsbauingenieure die Auffassung, dass man Artillerie und Infanterie voneinander trennen sollte - sie also in verschiedenen Werken unterbringen. Künftige Forts sollten Artillerie-Stützpunkte sein, ausgerichtet auf den Fernkampf. Der Infanterie kam die Aufgabe der Nahverteidigung zu. Sie sollte in den Zwischenräumen in ausgebauten oder einfachen Feldbefestigung untergebracht werden.
Vor dem Hintergrund dieser Diskussion ist ein 1893 im Park von Sanssouci errichtetes Modell einer modernen Panzerfestung interessant. Es wurde von Friedrich Alfred Krupp finanziert, weil er den Kaiser von seinen neuen Geschützen und Panzertürmen überzeugen wollte. Dieses Modell zeigt im Kern der Anlage ein dreieckiges Brialmont-Fort. Links und rechts davon befinden sich allerdings kleinere Artilleriewerke.
Die zuvor angesprochene Diskussion wurde Anfang der 1890er-Jahre noch nicht entschieden. Das erklärt auch die Blaupause zum Bau der kurz darauf errichteten Panzerfestung Kaiser Wilhelm II. bei Mutzig (Straßburg / Elsass-Lothringen). Hier findet man sowohl die Brialmont'schen Panzereinheitswerke als auch einzelne Infanterie- und Artilleriestellungen.
Mitte 1897 erging schlussendlich eine Allerhöchste Kabinettsorder (AKO) die besagte, dass "die Verstärkung unserer großen Festungen grundsätzlich in der Anlage von Batterien unter Panzerschutz zu suchen sei". Heißt nichts anderes, als dass sich die deutschen Ingenieure durchsetzen konnten und fortan Panzerfestungen als „aufgelöste Festungen mit einzelnen Panzer- bzw. Artilleriewerken und davon getrennten Infanteriewerken errichtet werden sollten. Sehr gut zu sehen bei den Panzerfestungen rund um Metz oder Thionville.